geheimdienste.info
Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V.
Wir über uns 

Publikationen

Texte online

Impressum


Ein Blick zurück im Zorn – die Enthüllungen des BND-Hauptmanns Juretzko

Rezension von Erich Schmidt-Eenboom


Das vom BND in Sorge erwartete Buch irritiert von Anfang an. Dem von staatsbürgerlicher Ritterlichkeit erfüllten Vorwort folgt ein Einstieg im Stile der Haudegen-Broschüren, wie sie in angelsächsischen Geheimdienstmemoiren üblich sind. Er nimmt den Kern des Buchs vorweg, die Operation Giraffe, in der der nicht erfolgsverwöhnte BND ab Juli 1990 gemeinsam mit amerikanischen und britischen Diensten alles, was ein Agentenherz an Dokumenten und Rüstungsmaterial begehrt, bei den aus Ostdeutschland abziehenden sowjetischen Streitkräften absahnen konnte. Unter dem Decknamen Dannau war der Autor von vornherein als Operateur dabei, eingangs bei der mit einem US-Techniker an einer Bahnstrecke vorgenommenen Strahlenmessung an sowjetischen Nuklearwaffen auf ihrer Rückreise aus Deutschland, deren abenteuerliche Details sechs Teilkapitel füllen.

Unverständnis äußert Juretzko in den einführenden Skizzen zur Etablierung der Dienststelle 12YA im Berliner Föhrenweg, wo das mit dem US-Militärgeheimdienst DIA geplante joint venture anfänglich beinahe an Widerständen in Pullach und Bonn gescheitert wäre. Aber kann man ernsthaft beklagen, dass eine Bundesregierung einem fremden Nachrichtendienst nicht völlige Operationsfreiheit auf deutschem Boden einräumen wollte? Die Kehrseite der kracherten Arroganz der DIA hat er doch auf der Arbeitsebene selbst erlebt und gut dokumentiert, wo es um das Abhören der BND-Offiziere in der gemeinsamen Dienststelle oder um die Unterschlagung wesentlicher Erkenntnisse gegenüber den Auswertern in Pullach ging. Unreflektiert bleibt der sozialdemokratische Kommunalpolitiker auch bei seiner Bewunderung für den unkontrollierten Umgang mit dicken Dollarbündeln, der den DIA-Leuten die Arbeit erleichtert. Vor einer solchen Praxis im BND sei der Rechnungshof und die politische Kontrolle des Dienstes.

Der Blick zurück im Zorn schweift dann zurück auf den Herbst 1984, als Juretzko in Hannover in den BND einstieg und  in der Postkontrolle DDR einen unbefriedigenden Platz fand. Als Intrigantenstadl ohne gleichen schildert er diese Dienststelle, in der „Bedingt dienstbereit“ die durchgängige Arbeitsmoral aller MitarbeiterInnen war. Erstaunlich ist nur, dass selbst HVA-Generale Respekt vor den aus diesem Sumpf summierten Erkenntnissen über die Versorgungslage oder Wehrmotivation in der DDR bekundet haben.

In seiner nächsten Verwendung von 1987 bis 1990 bei der Stay-Behind-Truppe des BND war der konspirative Fallschirmjäger in seinem Element. Eingebettet in Geschichtchen beschreibt er die Struktur des deutschen Gladio-Zweiges, Praktiken der Tipgewinnung und Anbahnung, der Ausbildung und des Funkbetriebs, wie sie bisher nie öffentlich geworden sind, wiederum nicht ohne Seitenhiebe auf die Zentrale.

Zum uralten und nicht auf den Nachrichtendienst beschränkten Konflikt zwischen „Frontschweinen“ und „Verwaltungshengsten“ weiß der Autor aus jeder Station seiner Karriere von 1984 bis 1998 als ewiger Hauptmann von Kapriolen zu berichten, die der dienenden Funktion von Stäben und Vorgesetzten über das bürokratietypische Maß weit hinaus Hohn sprechen, besonders bei der Betreuung von 12YA.

Berechtigt ist sicher die Kritik, dass den überlasteten Operateuren kein Übersetzer zur Seite gestellt wurde, während in anderen im Nachkriegsumbau befindlichen Dienststellen Däumchen gedreht wurden. Andererseits müsste sich der Autor fragen, ob der Einsatz von Verbindungsführern wie ihm und seinem Partner Teubner, die der russischen Sprache nicht mächtig sind und sich von Kollegen wenigstens den Geheimhaltungsgrad eines erbeuteten Schriftstücks in kyrillischen Buchstaben erklären lassen mussten, nicht eine Fehlbesetzung war.

Was er dennoch an Geheimmaterial aus sowjetischen Garnisonen beschaffen konnte, erfüllt ihn sichtlich mit Stolz Doch der Siegestaumel macht betriebsblind. Was nutzt es, einem Gegner in die Karten zu schauen, der längst gepasst hat? Zudem bleibt die Frage offen, ob alles, was Dannau sich auf die Fahnen schreibt, auch sein Werk war. Die spektakuläre Beschaffung eines Freund-Feind-Erkennungsgeräts der sowjetischen Fliegerkräfte z.B. verdankten die angelsächsischen Dienste ihrem Bekunden nach dem Kollegen „Ernst“.

Unvollständig bleibt die Darstellung da, wo BND-Operationen gegen die abziehenden sowjetischen Truppen nicht auf die fünf neuen Länder beschränkt waren, sondern auch in Polen oder Lettland stattfanden – darunter die Verschiffung von Panzermotoren aus Riga, die eine spätere Pressesprecherin des BND in ihrer Eigenschaft als Zuständige für die Operationen im Baltikum beaufsichtigte.

Zweifellos hat Dannau bis hin zu einem Oberst und einem General der Westgruppe der sowjetischen Truppen dem BND wichtige Quellen erschlossen und sie menschlich ansprechend geführt. Seine Anbahnung und Führung von „Münchhausen“ und „Eulenspiegel“ beispielsweise erscheint durchdacht und professionell, auch wenn sie so manche Dienstvorschrift vorsätzlich verletzte. Wenn der BND über seinen Schatten springen kann, gewinnt er manche Anregung aus dem Einfallsreichtum seines Dissidenten. Über den unmittelbaren Gewinn hinaus hätte sich daraus ein Netz von Innenquellen an den Rückkehrstandorten in den GUS-Staaten bauen lassen können. Bei ihnen fand er offensichtlich auch jene Bestätigung, die ihm in Pullach von den Führungsleuten verweigert wurde, die sich seine Erfolge ans Revers heften wollten.

Leser, die sich an den Indianerspielen im wilden Osten delektiert oder am bürokratischen Starrkrampf der Pullacher Verwaltung ergötzt hatten, werden das Buch beiseite legen, wenn sie ins letzte Drittel geraten. Leser, die ihre Lektüre abbrachen, weil sie sich mehr als nur Agenten-Abenteuer versprochen hatten, verpassen an diesem Punkt den Einstieg in den politischen Krimi, den der Verdacht gegen den Leiter der BND-Abteilung 1, Volker Foertsch, zeitigte, für den KGB zu arbeiten. Ausgelöst hatte die anschließende Maulwurfsjagd Dannaus Quelle Rübezahl, die ab Anfang 1997 solche Hinweise streute. Ob es sich bei dem 1956 in BND-Dienste getretenen Foertsch tatsächlich um den seit den 1960er Jahren gesuchten „zweiten Heinz Felfe“ handelt, oder ob die russischen Dienste den BND durch eine solche Desinformation lähmen wollten, bleibt ungeklärt. Verdienstvoll ist Juretzkos Aufhellung der Abläufe, die in Pullach, beim Verfassungsschutz in Köln, beim MAD, beim Generalbundesanwalt und im Bonner Kanzleramt hinter den Kulissen zu verzeichnen waren, zumal in politischen Magazinen nur teilweise darüber berichtet worden war. Dannau selbst war dabei als Diener zweier Herren, der Beschaffung und der Sicherheit, zwischen die Mühlsteine geraten.

Überrascht sind selbst Kenner des Dienstes von der starken Stellung der Sicherheit, die in den ersten drei Jahrzehnten BND als paranoische Jagdgemeinschaft und Bremsklotz für risikoreiche Operationen verschrien war, selbst gegenüber dem eigenen seit Februar 1994 amtierenden Chef Foertsch. Dessen Videoüberwachung im Dienst und von Juretzko nicht protokollierte Ermittlungen im privaten Umfeld waren von BND-Präsident Hansjörg Geiger gedeckt, der vor allem selbst unbeschadet aus der Affäre hervorgehen wollte.

Dass sich die Sicherheit letztlich nicht durchgesetzt hat, was eine restlose Aufklärung der causa Foertsch betrifft, ist auch politischer Übersteuerung und einem merkwürdigen Verhalten der Bundesanwaltschaft zu danken. Einen Gefallen hat man damit nicht einmal dem in Verdacht geratenen getan, der im Oktober 1998 verbittert aus dem BND schied und seither mit dem Restverdacht aus der niedergebügelten Untersuchung leben muss.

Wo es um die Nachwehen der Operation Giraffe geht und um die Abschaltung gewonnener Quellen, da blieb dem BND-Hauptmann Juretzko zu wenig Einblick in die Notwendigkeiten. Der knappe Bericht des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB vom August 2001 über diese Operation räumt zwar eigene Versäumnisse in der Anfangsphase des Abzugs ein, gesteht den westlichen Diensten Beschaffungserfolge zu, aber macht zugleich deutlich, dass der Werbung von langfristigen Innenquellen in der russischen Armee durch erfolgreiche Abwehrarbeit ein Riegel vorgeschoben werden konnte. Es gab Grund genug, Vorsicht gegenüber möglichen Doppelspielen walten zu lassen, nachdem einige BND-Quellen verhaftet worden waren. Zu einer ausgewogenen Darstellung hätte sicher auch gehört, von der Ausschleusung der BND-Quelle Küstennebel – ein russischer Hauptmann der Funkaufklärung - über Kasachstan 1998 zu berichten, zumal sie im Hausblatt des Ko-Autoren Willy Dietl, dem Focus, dargestellt worden war.

Mager kommt am Schluss auf einer Seite der Prozess 2003 gegen Juretzko daher. Geheimhaltung, die ihn 379 Buchseiten lang wenig kümmerte, wird vorgeschoben, damit das moralisch vernichtende Urteil verbunden mit einer Bewährungsstrafe von elf Monaten und verschwiegenen großen Geldforderungen der Bundesrepublik an ihn nicht als Schatten über seiner Motivationslage liegt. Getrübt wird das Selbstmitleid auch nicht durch eine Spur von Reue über die Rolle, die er im Verfahren vom Juli 1998 gegen seinen ehemaligen Chef und zwei Kollegen spielte, die er an den Pranger gestellt hatte.

Der wissenschaftliche Gebrauchswert des Buchs ist durch die Veränderung von Orten, Abläufen und Namen stark eingeschränkt. Personen tauchen wechselweise und nicht kenntlich gemacht unter ihrem Klarnamen auf (Smidt oder Foertsch), unter ihrem richtigen Decknamen (Gigl für Karl Gallwitz), unter verfälschten Decknamen (Gassinger statt Assinger) oder mit Phantasienamen wie „Ernst“ für den Decknamen Neumann. Verbitterung und Effekthascherei haben aus dem Stoff für ein herausragendes Buch ein allzu vielschichtiges Elaborat werden lassen, das der Goldkörner wegen dennoch nicht nur für interessierte Laien erstehenswert ist.

Norbert Juretzko: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND – die Abrechnung eines Aussteigers, Ullstein Buchverlag: Berlin 2004, 382 S.